Markus Hinterhäuser, der für das Jahr 2011 zum Interims-Intendanten bestellt worden war, überschrieb sein Programm mit einem Zitat des italienischen Komponisten Luigi Nono: „Das Ohr aufwecken, die Augen, das menschliche Denken.“ Ein Relief des Künstlers Stephan Balkenhol bildete das Bildsujet der Salzburger Festspiele 2011: Eine Frau mit geheimnisvollem Blick, die trotz fehlender Ohren konzentriert zu hören scheint. Die Festspielausstellung zeigte im Sommer neben seiner monumentalen Skulptur sempre più eine eigens geschaffene Serie neuer Werke Stephan Balkenhols, die auf das Programm der Salzburger Festspiele 2011 Bezug nehmen. Die Frauen und Männer, die den FestspielbesucherInnen als Figuren und Reliefs begegneten, erinnern an die Charaktere aus den Inszenierungen des Festspielsommers 2011 und bleiben doch anonym, ja rätselhaft.
Die Figur eines kleinen Mannes, der hinter seinem Rücken ein Messer versteckt hält, ließ den Betrachter vielleicht an die Bluttat Macbeths in Giuseppe Verdis gleichnamiger Oper denken. Als erste Zusammenarbeit zwischen Peter Stein und Riccardo Muti wurde Macbeth zum mehrfach überbuchten, durchschlagenden Erfolg des Festspielsommers. Mit Richard Strauss’ Frau ohne Schatten übernahm Christian Thielemann sein erstes Operndirigat in Salzburg, für die Inszenierung der Oper zeichnete Christoph Loy verantwortlich. Die Sache Makropulos setzte nach Aus einem Totenhaus, Jenůfa und Katja Kabanowa die Janáček-Tradition der Salzburger Festspiele fort. Für diese Inszenierung kamen drei Persönlichkeiten erneut zusammen, die 1998 mit der Oper Katja Kabanowa Festspielgeschichte geschrieben hatten: Der Regisseur Christoph Marthaler, die Bühnenbildnerin Anna Viebrock und die Sängerin Angela Denoke, die die zentrale Figur der alterslosen Opernsängerin Emilia Marty verkörperte. Dirigiert wurde Leoš Janáčeks vorletzte Oper von Esa-Pekka Salonen. Das Jahr 2011 bot erstmals die Möglichkeit, Claus Guths vielgelobte Inszenierungen der drei Da-Ponte-Opern W. A. Mozarts in einem Festspielsommer zu erleben. Im Don Giovanni mit den Wiener Philharmonikern unter Yannick Nézet-Séguin überzeugten Gerald Finley in der Titelpartie und Erwin Schrott als Leporello. Mit dem Orchestra of the Age of Enlightenment gestaltete der junge Dirigent Robin Ticciati die Oper Le nozze di Figaro mit Genia Kühmeier, die ihr Rollendebüt als Gräfin Almaviva gab. Die 2009 entstandene Inszenierung der Così fan tutte, 2011 von Marc Minkowski musikalisch geleitet und gespielt von Les Musiciens du Louvre, unterzog der Regisseur einer weitgehenden Revision und zeigte deutlich das Abgründige der „Schule der Liebenden“. Vier Reliefs von Stephan Balkenhol – zwei Männer und zwei Frauen – schienen das distanziert geheimnisvolle Spiel rund um die beiden Paare der Oper im Foyer des Hauses zu wiederholen. Eine konzertante Doppelvorstellung von Peter I. Tschaikowskis letzter Oper Iolanta und Igor Strawinskys Le Rossignol erwies sich nicht zuletzt wegen der luxuriösen Besetzung – Anna Netrebko sang die blinde Prinzessin Iolanta, Piotr Beczala ihren Geliebten Vaudémont – als fulminanter Erfolg bei Publikum und Kritik.
Im Konzertprogramm bildeten Der Fünfte Kontinent und die Mahler-Szenen zwei Schwerpunkte. Im fünften und letzten Jahr der Kontinente-Reihe präsentierten Ensembles wie das Klangforum Wien, les ensembles solistes XXI und das stadler quartett sowie Dirigenten wie Ingo Metzmacher, Jonathan Nott und Steven Sloane exemplarische Kompositionen der letzten Jahrzehnte und knüpften in vielfältiger Weise an die vorhergehenden Kontinente an. Nach der vielbeachteten Aufführung 1993 war zum zweiten Mal Luigi Nonos Werk Prometeo im Rahmen der Salzburger Festspiele zu hören. In Ergänzung zum Opernprogramm kam Salvatore Sciarrinos Musiktheaterwerk Macbeth (2001/02) zur Aufführung. Die Regisseurin und Choreographin Sasha Waltz war im Rahmen des Fünften Kontinents mit dem Projekt Continu zu Gast, das auf Musik von Edgar Varèse, Claude Vivier und Iannis Xenakis basiert. Die seit 2007 bestehende Szenen-Reihe stand 2011 im Zeichen des Jahresregenten Gustav Mahler. Im Rahmen des neunteiligen Zyklus waren u.a. Gustavo Dudamel und das Simón Bolívar Symphony Orchestra mit Mahlers Zweiter Symphonie zu hören, Piotr Beczala, Christian Gerhaher und András Schiff gestalteten das Lied von der Erde und Pierre Boulez interpretierte im Großen Festspielhaus mit den Wiener Philharmonikern Mahlers Klagendes Lied und Alban Bergs Lulu-Suite.
Neben der Wiederaufnahme des Jedermann in der Inszenierung von Christian Stückl prägten zwei Uraufführungen und der Faust-Marathon auf der Halleiner Perner-Insel das Schauspielprogramm 2011. In der Regie von Nicolas Stemann wurden beide Teile von J. W. Goethes Faust an vier Wochenenden als Marathonvorstellungen gegeben, das begleitende Rahmenprogramm Auf eigene Faust bot so unterschiedliche Veranstaltungen wie die szenische Erstlesung von Daniel Kehlmanns Stück Die Geister von Princeton und einen Konzertabend mit der Sängerin Gustav und dem „Tod“ aus dem Jedermann, Ben Becker. Im Landestheater begann die Festspielsaison mit einem Auftragswerk der Salzburger Festspiele: Roland Schimmelpfennigs Stück Die vier Himmelrichtungen wurde am 30. Juli in der Regie des Autors uraufgeführt. Auch Shakespeares Maß für Maß stand 2011 im Landestheater auf dem Programm. Neben der Regie von Thomas Ostermeier überzeugten allen voran Gert Voss – von 1995 bis 1998 in der Rolle des Jedermann bei den Salzburger Festspielen zu Gast – und Lars Eidinger in den Hauptrollen. Die zweite Uraufführung des Jahres brachte ein persönliches Theaterstück des Schriftstellers Peter Handke auf die Bühne der Perner-Insel: In Immer noch Sturm erzählt Handke die Geschichte seiner Familie und die Geschichte der slowenischen Kärntner und ihres Partisanenkrieges. In einer Ahnenbeschwörung lässt der Erzähler seine Vorfahren auferstehen und imaginiert sich selbst in ihrem Kreis. Dimiter Gotscheff führte Regie bei dieser Koproduktion mit dem Thalia Theater Hamburg. Unter dem Titel Jenseits der Grenze wurde die Uraufführung von Lesungen, Gesprächen und Filmaufführungen begleitet, die politische und ästhetische Bezüge zum bisherigen Schaffen des Autors aufzeigen konnten. Das Young Directors Project erschloss im zehnten Jahr seines Bestehens ungewöhnliche Theaterformate. Abseits der herkömmlichen Bühne besuchte etwa das Publikum der Siegerproduktion Symphony of a Missing Room des Londoner Künstlerduos Lundahl & Seitl ein imaginäres Museum inmitten des Salzburger Museums der Moderne. 2011 war auch Thomas Oberenders letztes Jahr als Schauspieldirektor der Salzburger Festspiele und gab Anlass zu einem Rückblick: Das Schauspielprogramm 2007 bis 2011 bot 448 Veranstaltungen bei 93 Produktionen, darunter zahlreiche Ur- und Erstaufführungen, wie die gefeierte Adaption von Dostojewskijs Verbrechen und Strafe 2008 oder der Doppelabend mit Samuel Becketts Das letzte Band und Peter Handkes Bis dass der Tag euch scheidet oder Eine Frage des Lichts im Jahr 2009. Für die Reihe Dichter zu Gast konnte der Schauspielleiter u.a. Claudio Magris, Daniel Kehlmann und Nobelpreisträger Orhan Pamuk gewinnen. Mit Produktionen wie Heiner Müllers Quartett mit Barbara Sukowa und Jeroen Willems im Carabinierisaal der Salzburger Residenz, der Sad Face/Happy Face-Trilogie von Jan Lauwers und der Needcompany oder der von Peter Stein übersetzten und inszenierten Sophokles’schen Tragödie Ödipus auf Kolonos auf der Perner Insel ist es Thomas Oberender gelungen, besondere künstlerische Konstellationen zu schaffen.