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PROGRAMMDETAIL

Marc-André Dalbavie Charlotte Salomon

Oper in zwei Akten mit einem Vorspiel und einem Nachwort
Libretto von Barbara Honigmann nach Leben? oder Theater? von Charlotte Salomon
Übertragung ins Französische von Johannes Honigmann

Auftragswerk der Salzburger Festspiele • Uraufführung
In memoriam Gerard Mortier

In deutscher und französischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Dauer der Oper ca. 2 Stunden und 10 Minuten.

URAUFFÜHRUNG

  • 28. Juli 2014, 19:00 Uhr

AUFFÜHRUNGEN

  • 02. August 2014, 19:30 Uhr
  • 07. August 2014, 19:30 Uhr
  • 10. August 2014, 19:30 Uhr
  • 14. August 2014, 19:30 Uhr

SPIELSTÄTTE

Felsenreitschule

Programm drucken (PDF)

LEADING TEAM

Marc-André Dalbavie, Musikalische Leitung
Luc Bondy, Regie
Johannes Schütz, Bühne
Moidele Bickel, Kostüme
Bertrand Couderc, Licht
Konrad Kuhn, Dramaturgie
Marie-Louise Bischofberger, Choreografie / Regiemitarbeit

BESETZUNG

Johanna Wokalek, Charlotte Salomon
Marianne Crebassa, Charlotte Kann
Jean-Sébastien Bou, Doktor Kann, ein Arzt
Géraldine Chauvet, Franziska Kann / Eine Frau
Anaïk Morel, Paulinka Bimbam
Frédéric Antoun, Amadeus Daberlohn, ein Gesangspädagoge
Vincent Le Texier, Herr Knarre / Lageroberst
Cornelia Kallisch, Frau Knarre
Michal Partyka, Professor Klingklang / Ein Kunststudent / Dritter Nazi / Ein Polizist
Eric Huchet, Der Papst / Der Propagandaminister / Der Kunstprofessor / Erster Nazi / Ein Mann / Zweiter Emigrant
Annika Schlicht*, Eine Kunststudentin aus Tirol
Wolfgang Resch*, Zweiter Nazi

Mozarteumorchester Salzburg

*Mitglied des Young Singers Project

ZUR PRODUKTION

„Der Mensch sitzt am Meer. Er malt. Eine Melodie kommt ihm plötzlich in den Sinn. Indem er sie zu summen beginnt, bemerkt er, dass die Melodie genau auf das, was er zu Papier bringen will, passt. Ein Text formt sich bei ihm, und nun beginnt er die Melodie mit dem von ihm gebildeten Text zu unzähligen Malen mit lauter Stimme solange zu singen, bis das Blatt fertig scheint.“ Mit diesen Worten beschreibt Charlotte Salomon, wie ihr faszinierendes Werk Leben? oder Theater? entstand. Die junge jüdische Künstlerin war nach der Pogromnacht vom 9. November 1938 aus Berlin zu ihren Großeltern nach Südfrankreich geflüchtet. In Villefranche erlebt sie den Ausbruch des Weltkriegs. Aus Angst vor den näherrückenden Truppen Nazideutschlands stürzt sich ihre Großmutter aus dem Fenster. Vom Großvater hört sie, dass schon ihre leibliche Mutter, die gestorben war, als sie neun Jahre alt war, ihrem Leben auf die gleiche Weise ein Ende gesetzt hatte. Schlimmer noch: eine ganze Reihe weiterer Verwandter, so erfährt sie jetzt, ist durch Freitod gestorben. Charlotte spürt: Will sie nicht von diesem Familienfluch eingeholt oder verrückt werden, muss sie „etwas ganz verrückt Besonderes“ tun.

Das „ganz verrückt Besondere“ nimmt die nächsten zwei Jahre in Anspruch: Hunderte von Gouachen, in denen Charlotte Salomon die Geschichte ihres noch jungen Lebens und die ihrer Familie erzählt und zugleich fiktiv überhöht, werden auf die oben beschriebene Art und Weise geschaffen. Häufig mit filmisch anmutenden Mitteln entwickelt sie Szene für Szene und schreibt dazu Texte, die sie vielfach in den Bildraum integriert. Und sie notiert zahlreiche musikalische Bezüge – eben die „Melodien“, die ihr beim Malen und Schreiben durch den Kopf gingen. Die Musik-Zitate reichen von Bach über Beethoven bis Bizet und schließen auch Filmschlager ein. Ihr Werk Leben? oder Theater? – heute im Jüdischen Historischen Museum von Amsterdam aufbewahrt – nennt sie ein „Singespiel“: eine wirklich „ganz verrückt besondere“ Verbindung von Bild, Text und Musik, die manch spätere Entwicklung der Kunst vorwegnimmt.

Vor allem aber ist es das bewegende Zeugnis einer jungen Frau, die mit wachen Augen und Ohren die Katastrophen ihrer Zeit und ihres Volkes erlebt. Und deren Leben im Alter von 26 Jahren ein jähes Ende gesetzt wird: Als die Deutschen 1943 auch den Süden Frankreichs besetzten, wird sie verhaftet und nach Auschwitz deportiert, wo sie kurze Zeit später umkommt. Ein Schicksal von 6 Millionen. Eine Lebensgeschichte, die in Leben? oder Theater? auf unverwechselbare Weise Ausdruck gewinnt. Und für den französischen Komponisten Marc-André Dalbavie der Stoff für eine Oper. Er greift Charlotte Salomons Leben und Werk auf und macht es sich auch zur Aufgabe, kompositorisch auf die von ihr zitierten Musiken zu reagieren.

Marc-André Dalbavie, Jahrgang 1961, dem mit seiner 2010 in Zürich uraufgeführten Oper Gesualdo ein durchschlagender Erfolg gelang, gehört zu den meistgespielten Komponisten seiner Generation. Seine Musiksprache formte sich am Pariser IRCAM, beeinflusst von der sog. „musique spectrale“. Die bei uns als „Spektralisten“ bekannte Gruppe um den Komponisten Gérard Grisey machte anstelle abstrakter Bauprinzipien (wie in der seriellen Musik) die Analyse des Einzelklangs (auch mit elektronischen Mitteln) zum Ausgangspunk ihrer Arbeit und erforschte die sinnliche Erfahrbarkeit des Klangspektrums. Dalbavie gelang mit Seuils (uraufgeführt 1994 bei den Salzburger Festspielen unter Pierre Boulez) der internationale Durchbruch. Seither hat er seinen unverkennbaren Personalstil stetig weiter entwickelt. Den für die Neue Musik lange zentralen Gegensatz von Tonalität und Atonalität bzw. Zwölftonmusik lässt er mit Hilfe metatonaler Kompositionstechniken hinter sich. Marc-André Dalbavie lässt sich immer wieder auch durch die Musik vergangener Jahrhunderte inspirieren. Außer Gesualdo, auf dessen Madrigale er sich in seinem Schaffen mehrfach bezogen hat, ließe sich die Musik der französischen Troubadoure des 12. Jahrhunderts ebenso nennen wie die im Barock entstandene Tradition des Virtuosen-Konzerts. Neben großformatigen symphonischen Werken, regelmäßig von Spitzen-Orchestern weltweit gespielt, hat er sich immer für die menschliche Stimme interessiert. In der Oper Charlotte Salomon wird seine Musik zum Medium, in dem sich das „Singespiel“ der eigenwilligen Titelfigur fortspinnen lässt.

Konrad Kuhn




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