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PROGRAMMDETAIL

Hugo von Hofmannsthal Jedermann

Das Spiel vom Sterben des reichen Mannes 

Wiederaufnahme

PREMIERE

  • 19. Juli 2014, 21:00 Uhr

AUFFÜHRUNGEN

  • 17. Juli 2014, 21:00 Uhr
  • 20. Juli 2014, 17:00 Uhr
  • 22. Juli 2014, 21:00 Uhr
  • 27. Juli 2014, 21:00 Uhr
  • 03. August 2014, 21:00 Uhr
  • 06. August 2014, 17:00 Uhr
  • 10. August 2014, 17:00 Uhr
  • 12. August 2014, 21:00 Uhr
  • 15. August 2014, 21:00 Uhr
  • 16. August 2014, 17:00 Uhr
  • 19. August 2014, 21:00 Uhr
  • 25. August 2014, 17:00 Uhr
  • 27. August 2014, 17:00 Uhr
  • 29. August 2014, 21:00 Uhr

SPIELSTÄTTE

Domplatz

Programm drucken (PDF)

LEADING TEAM

Brian Mertes, Julian Crouch, Regie
Julian Crouch, Bühne, Masken und Puppen
Olivera Gajic, Kostüme
Martin Lowe, Musikalische Leitung, Orchestrierung
David Tushingham, Dramaturgie
Dan Scully, Licht
Matt McKenzie für Autograph, Sounddesign
Jesse J. Perez, Choreografie

ZUR PRODUKTION

Hugo von Hofmannsthal schrieb den Jedermann 1911, nur drei Jahre vor Beginn des Ersten Weltkrieges. Zu dieser Zeit bereitete sich längst die Katastrophe vor, die weder in den Schuldzuweisungen der Sieger noch in den Verteidigungsversuchen der Besiegten ihre Erklärung findet: Die Großmächte Europas, Russland und die USA machten sich daran die Welt aufzuteilen. Die Kriegsgründe waren kollidierende imperialistische Gier, Großmachtstreben, Profitsucht und Chauvinismus unter allen Beteiligten. Die Mittel dieser neuen Herren der Welt, ihre Macht zu entfalten und zu sichern, waren skrupellos und mörderisch und führten folgerichtig zur letzten Konsequenz: dem Krieg.
Gleichzeitig und mit infamer Logik standen die Europäischen Länder in nie gekannter Blüte. Stefan Zweig schreibt in Die Welt von Gestern: „Nie war Europa stärker, reicher, schöner, nie glaubte es inniger an eine noch bessere Zukunft.“ Und über das Jahr 1914: „Alles lag eben und hell vor meinem Blick, in diesem meinem zweiunddreißigsten Jahr; schön und sinnvoll wie eine köstliche Frucht bot sich in diesem strahlenden Sommer die Welt. Und ich liebte sie um ihrer Gegenwart und ihrer noch größeren Zukunft willen. Da, am 28. Juni 1914 fiel jener Schuss in Sarajevo, der die Welt der Sicherheit und der schöpferischen Vernunft, in der wir erzogen, erwachsen und beheimatet waren, in einer einzigen Sekunde wie ein hohles tönernes Gefäß in tausend Stücke schlug.“
Sinnsuchend und mahnend wendet sich Hofmannsthal, einst die Hoffnung der Wiener Avantgarde, in dieser leuchtenden Zeit ausgerechnet dem finsteren Mittelalter zu und schreibt ausdrücklich für ein aufgeklärtes großstädtisches Publikum ein Mysterienspiel. Dieser Versuch wurde von Kritikern als obskurer Anachronismus und literarische Missgeburt vernichtet. Das Publikum hingegen nahm das Stück wundersamer Weise begeistert an. An dieser denkwürdigen Differenz hat sich bis heute nichts geändert.
Das Unzeitgemäße an Hofmannsthals und Reinhardts Vorhaben ist aber wirklich bemerkenswert und vielleicht nur im Klima einer Zeit vorstellbar, deren Botschaft eine umgekehrte war. Die Raffinesse einer dekadenten Elite, die ihre Seele Psyche nannte und ihr Heil dem Analytiker und nicht dem Glauben überlassen wollte, musste sich durch die hölzernen Knittelverse und die einfältige Heilslehre ästhetisch und weltanschaulich geradezu beleidigt gefühlt haben.
Eine Welt, die Fortschrittsbesessen den Siegeszug der technischen Entwicklung, der Wissenschaft und Wirtschaft feierte, wollte sich nicht durch den mittelalterlichen Begriff der „Vanitas“ den Spaß verderben lassen. Alles ist eitel und vergänglich? Aber woher! Die Geschichte schien ein Crescendo, oder mehr, eine nie endende Aufwärtsbewegung zu sein. Die Aktienspekulanten, die ihre reichlichen Dividenden gerne und ohne Gewissensqualen von Skoda, Krupp und Schneider-Creusot bezogen, hatten mit der Warnung vor den Mächten des dämonischen Mammons sicher nichts am Hut.
Trotzdem – oder grade deshalb? – war der Jedermann bei seiner Uraufführung im Circus Schumann in Berlin ein bald auf vielen deutschsprachigen Bühnen nachgespielter Publikumserfolg.
Der Jedermann ähnelt seiner Entstehungszeit mehr, als es ihre intellektuelle Elite wahrhaben wollte, und Hofmannsthals Blick in die Vergangenheit stellt sich als prophetisch heraus. Hedonistisch und lebensgierig, mit Bauvorhaben, Affären, (Selbst-)Feiern und Finanzen beschäftigt, wird der Jedermann auf dem Höhepunkt des Lebens vom Tod heimgesucht. Endlichkeit und Ewigkeit. Verdammnis und Erlösung heißen plötzlich die Fragen, denen er sich zu stellen hat. Demütig muss er sich einer höheren Macht beugen und „nackt und bloß“ ins Grab gehen.
Max Reinhardt betrieb – ebenfalls scheinbar völlig anachronistisch – bereits während des Krieges sein Projekt, Festspiele in Salzburg zu gründen und den Jedermann dort aufzuführen. 1920, in Nachkriegselend, Hunger und Inflation, inmitten eines völlig gewandelten, demoralisierten Österreichs, wurde dann tatsächlich der erste Jedermann mit Alexander Moissi in der Titelrolle auf dem Domplatz gespielt. Die Bühne war aus Brettern errichtet, die vom Abriss eines Gefangenenlagers bei Salzburg stammten. Die Darsteller erhielten keine Gage, der Erlös war für wohltätige Zwecke bestimmt, und Reinhardt und Hofmannsthal wollten die Gründung der Festspiele ausdrücklich als „Friedenswerk“ verstanden sehen.
Weder die konfessionelle Anbindung des Jedermanns an die katholische Kirche, noch die konservativ-völkischen Überlegungen Hofmannsthals haben aber dem Stück sein Überleben gesichert. Weder das Heilsverlangen des Publikums noch das Heilsversprechen, unter verlockend bequemen Bedingungen durch bloßes Lippenbekenntnis Gnade und Unsterblichkeit zu erlangen, sorgen für seinen Erfolg.
Es ist das heimliche Unbehagen vor unserer Selbstermächtigung und unserer Vorläufigkeit, das Misstrauen in unsere Erkenntnisse und Taten und die Sehnsucht in dieser Blindheit aufgehoben zu sein, die das Stück auch in Zukunft dem Publikum gültig und bedeutsam erscheinen lassen wird.

Sven-Eric Bechtolf




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